EU-Entgelttransparenz: Neue Pflichten für Arbeitgeber ab 2026

Die EU-Entgelttransparenzrichtlinie läutet einen Paradigmenwechsel ein. Während das deutsche Entgelttransparenzgesetz von 2017 in der Realität kaum Wirkung entfaltete, stehen Arbeitgeber nun vor deutlich weitreichenderen Verpflichtungen.
Die Umsetzungsfrist läuft bis Juni 2026. Unternehmen sollten diese Zeit nutzen, um sich gründlich auf die verschärften Anforderungen vorzubereiten.

Deutsches Recht: Gut gemeint, wenig erreicht

Das 2017 eingeführte deutsche Entgelttransparenzgesetz verfolgte ein wichtiges Ziel: die Beseitigung der Lohnlücke zwischen den Geschlechtern.


Im Kern ermöglichte es Beschäftigten in Betrieben mit mindestens 200 Mitarbeitern, Informationen über Gehälter vergleichbarer Kolleginnen und Kollegen einzuholen. Ab 500 Beschäftigten mussten Unternehmen außerdem periodische Berichte zur Entgeltgleichheit vorlegen.

Die Bilanz fällt jedoch ernüchternd aus: Das Gesetz entfaltete kaum praktische Wirkung. Eine Auswertung des Bundesfamilienministeriums aus dem Jahr 2023 zeigt das Ausmaß des Problems:
Lediglich knapp 20 Prozent der anspruchsberechtigten Beschäftigten machten von ihrem Auskunftsrecht Gebrauch. Noch drastischer: Weniger als ein Drittel der berichtspflichtigen Arbeitgeber kam seiner Pflicht tatsächlich nach.


Das Gesetz blieb zahnlos – verbindlicher, einheitlicher und vor allem effektiver muss es werden.

EU-Initiative: Ende des Geheimnisprinzips

An diesem Punkt greift die neue EU-Richtlinie ein. Sie verschärft die Regelungen erheblich und beseitigt wesentliche Schwachstellen des deutschen Rechts.
Die zentralen Neuerungen im Überblick:

Transparenz beginnt beim Bewerbungsprozess

Bereits in Stellenausschreibungen müssen Arbeitgeber künftig konkrete Gehaltsangaben machen oder zumindest eine Gehaltsspanne kommunizieren.
Das traditionelle Geheimnisprinzip, bei dem Gehälter erst in Verhandlungen thematisiert werden, gehört damit der Vergangenheit an. Bewerberinnen und Bewerber erhalten von Anfang an Klarheit über die finanzielle Dimension einer Position.

Gleichzeitig verliert eine gängige Praxis ihre Grundlage: Arbeitgeber dürfen nicht mehr nach dem bisherigen Gehalt fragen. Diese Regelung zielt darauf ab, bestehende Gehaltsunterschiede nicht in neue Arbeitsverhältnisse zu übertragen.
Wer in der Vergangenheit unterbezahlt wurde, soll dadurch nicht auch beim Arbeitgeberwechsel benachteiligt werden.

Erweiterte Auskunftsrechte für Beschäftigte

Die Informationsrechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden deutlich gestärkt.
Sie können künftig detaillierte Auskünfte über durchschnittliche Vergütungen in vergleichbaren Positionen verlangen – aufgeschlüsselt nach Geschlecht.
Diese Transparenz macht Ungleichbehandlungen sichtbar und schafft eine Grundlage für fundierte Gehaltsgespräche.

Wichtig: Diese Rechte stehen allen Beschäftigten zu, unabhängig von der Unternehmensgröße.
Anders als beim deutschen Gesetz mit seiner 200-Mitarbeiter-Schwelle profitieren nun auch Angestellte in kleineren Betrieben von mehr Gehaltstransparenz.

Umfassende Berichtspflichten

Unternehmen ab 100 Beschäftigten – und damit deutlich mehr Betriebe als bisher – müssen regelmäßig über ihre Entgeltstrukturen berichten.
Die Berichterstattung erfolgt gestaffelt: Größere Unternehmen jährlich, kleinere alle drei Jahre.
Diese Reports müssen nicht nur erstellt, sondern auch intern kommuniziert werden.

Der Inhalt der Berichte geht über bisherige Anforderungen hinaus:
Arbeitgeber müssen den geschlechtsspezifischen Lohnunterschied transparent darstellen.
Liegt dieser bei mindestens fünf Prozent und kann der Arbeitgeber keine objektiven, geschlechtsneutralen Gründe dafür nachweisen, wird eine gemeinsame Entgeltbewertung mit Arbeitnehmervertretern verpflichtend.

Beweislastumkehr: Ein Systemwechsel

Eine der weitreichendsten Änderungen betrifft die Beweislast in Diskriminierungsverfahren.
Bislang mussten Beschäftigte nachweisen, dass sie aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt wurden – eine oft schwierige Aufgabe.
Nach der neuen Richtlinie kehrt sich dies um: Arbeitgeber müssen belegen, dass keine Diskriminierung vorliegt.

Dies stärkt die Position der Beschäftigten erheblich und erhöht den Druck auf Unternehmen, ihre Entgeltstrukturen diskriminierungsfrei zu gestalten.

Verbot von Geheimhaltungsklauseln

Vertragliche Klauseln, die Beschäftigte zur Geheimhaltung ihrer Vergütung verpflichten, werden unwirksam.
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dürfen sich künftig über ihre Gehälter austauschen, ohne arbeitsrechtliche Konsequenzen befürchten zu müssen.
Diese Regelung fördert eine offene Gehaltskultur und macht Ungleichbehandlungen leichter erkennbar.

Handlungsbedarf für Unternehmen

Die neue Richtlinie bedeutet für viele Arbeitgeber erheblichen Anpassungsbedarf.
Unternehmen sollten die verbleibende Zeit bis Juni 2026 strategisch nutzen:

  • Entgeltstrukturen analysieren: Eine systematische Überprüfung der bestehenden Vergütungssysteme ist unerlässlich.
    Wo bestehen ungerechtfertigte Unterschiede? Welche Faktoren beeinflussen die Gehaltshöhe, und sind diese objektiv nachvollziehbar?
  • Bewertungssysteme etablieren: Transparente, geschlechtsneutrale Kriterien für die Gehaltsfindung müssen entwickelt oder überarbeitet werden.
    Dies schafft nicht nur Rechtssicherheit, sondern auch mehr Akzeptanz bei den Beschäftigten.
  • Prozesse anpassen: Von der Stellenausschreibung über das Bewerbungsverfahren bis zur Gehaltsverhandlung – die gesamte Prozesskette muss an die neuen Anforderungen angepasst werden.
    Dazu gehören auch IT-Systeme für Reporting und Auskunftserteilung.
  • Kommunikation vorbereiten: Beschäftigte, Führungskräfte und Betriebsräte müssen frühzeitig über die Änderungen informiert und für das Thema sensibilisiert werden.
    Eine offene Kommunikation kann potenzielle Widerstände abbauen.
  • Rechtliche Beratung einholen: Angesichts der Komplexität der Materie und möglicher Haftungsrisiken ist professionelle juristische Unterstützung ratsam.

Fazit: Mehr als nur Compliance

Die EU-Entgelttransparenzrichtlinie ist mehr als eine weitere Regulierung.
Sie verändert grundlegend, wie Unternehmen über Vergütung denken und kommunizieren müssen.

Für Arbeitgeber mag dies zunächst als administrative Belastung erscheinen.
Langfristig kann mehr Transparenz jedoch auch Chancen bieten:
Faire Vergütungsstrukturen fördern die Mitarbeiterzufriedenheit, stärken die Arbeitgebermarke und können im Wettbewerb um Talente zum Vorteil werden.

Wer die Umsetzung strategisch angeht und nicht als lästige Pflichtübung begreift, kann die neuen Anforderungen zur Modernisierung seiner Vergütungssysteme nutzen.
Die Zeit bis 2026 sollte dafür intensiv genutzt werden.